Facebook muss an die Kette gelegt werden

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Ein einstudierter PR-Stunt und eine lahme Entschuldigung – mehr hat Mark Zuckerberg zum Skandal um 50 Millionen zweckentfremdete Facebook-Nutzerdaten bisher nicht geliefert. Nutzer und Politik dürfen sich das nicht weiter bieten lassen. 
Ein IMHO von Nico Ernst

Was macht man mit einem Hofhund, der ständig den Briefträger anfällt? Man legt ihn an eine Kette, die so kurz sein muss, dass er das Gartentor und den Weg nicht mehr erreichen kann. Dasselbe sollte man mit einem Konzern tun, der unrechtmäßig Millionen Nutzerdaten weitergegeben hat und dessen Chef das mit fast nichts als einem treuherzigen Blick und einem schwachen "Sorry"quittiert. Facebook mag sich im Fall der 50 Millionen ausgeleiteten Datensätzenicht bewusst aggressiv verhalten haben, gebissen wurden seine Nutzer aber trotzdem. Und dem Unternehmen war es mindestens egal, vielleicht sogar recht, dass mit den weitergegebenen Daten möglicherweise eine Wahl beeinflusst wurde.

Im Interview mit CNN gab Mark Zuckerberg aber wie stets das Bild des Welpen ab, dem ein vermeintlicher Freund das Lieblingsspielzeug geklaut hat. "Es tut mir echt leid", sagte er in einem Interview brav seine offensichtlich auswendig gelernten Zeilen auf. Die Vorgänge seien "ein massiver Vertrauensbruch".

Was abhanden kam und missbraucht wurde, war aber kein Spielzeug. Es sind die Daten von Abermillionen Menschen, die ihr Leben und ihre sozialen Kontakte über das Netzwerk organisieren. Datenanalysten der Organisation Cambridge Analytica haben sie 2014 gesammelt und darauf aufbauend eine Analysesoftware entwickelt. Diese sollte das Verhalten von US-Wählern vorhersagen und deren Vorlieben und Ängste herausfinden, um den damaligen Präsidentschaftskandidaten und heutigen US-Präsidenten Donald Trump beim Wahlkampf zu unterstützen.

Facebook ist die mächtigste Institution der Welt

Es geht aber sogar um viel mehr als diese 50 Millionen Nutzer. In Deutschland gilt eine Umfrage unter 1.000 repräsentativ ausgewählten Personen als aussagekräftig, und basierend auf solchen Ergebnissen werden politische Entscheidungen getroffen. Mit 50 Millionen Datensätzen kann man nicht nur diese Nutzer analysieren, sondern ein Psychogramm des gemeinen Facebook-Nutzers schlechthin erstellen, Gruppen herausarbeiten und sie gezielt ansprechen. So wie zuvor schon bei Antisemiten lassen sich so schlicht alle politischen Neigungen zur Manipulation nutzen.

Facebook ist damit mächtiger als jede andere Institution der Welt. Gleich ob aus Fahrlässigkeit oder Ignoranz des Konzerns oder mit Absicht – diese Macht ließ sich bisher auch von externen Firmen oder politischen Gruppen missbrauchen. Der Mechanismus, der das ermöglichte, soll nun laut Zuckerberg eingeschränkt werden. Damit können bisher über Facebook-Apps Daten nicht nur eines Nutzers, sondern auch die seiner Kontakte abgegriffen werden. Aber dies zu unterbinden, reicht bei weitem nicht. Außerdem kommt das Angebot zu spät, genau wie der nun tobende Skandal, nämlich erst Jahre, nachdem die Vorfälle begonnen hatten. Da eine Antwort vier Tage brauchte, dürfte Zuckerberg bis zu seinem CNN-Gespräch wohl so geschwitzt haben wie bei seinem denkwürdigen Auftritt auf der Konferenz D8 im Jahr 2010. Das Thema damals? Privacy.

Heute ist die Frage aber nicht mehr nur, wer welches Foto sehen darf. Es geht darum, dass sich mit dem Datenreichtum eines Unternehmens wie Facebook gesellschaftliche Prozesse gezielt steuern lassen. Und dass niemand außer dem Netzwerk selbst Einblick darin hat, ob und wie das möglich ist. Weder Nutzer noch Politik dürfen sich das bieten lassen. Facebook alleine bekommt die Probleme nicht in den Griff, also muss es dazu gezwungen werden. Im Kern sollten zwei Ideale stehen: Transparenz und Datensouveränität.

Auch soziale Netzwerke müssen transparent sein

Genauso, wie ein börsennotiertes Unternehmen regelmäßig Einblick in seine Geldflüsse geben muss, muss auch ein soziales Netzwerk seinen Nutzern und staatlichen Instanzen regelmäßig offenlegen, woher die Umsätze kommen. Also, auf Basis welcher Daten das Geld verdient wird. Wann immer Nutzer freiwillig Daten an eine dritte Stelle übermitteln, müssen sie konkret auf den Umstand und mögliche Risiken hingewiesen werden. Einmal die AGB von Facebook abgenickt zu haben, darf als rechtlicher Vorwand nicht mehr reichen. Mit welchen Unternehmen und Institutionen der Dienst Geschäfte oder unbezahlte Kooperationen unterhält, muss ebenso jederzeit einsehbar sein. Nur das ist Transparenz in einem bisher völlig undurchsichtigen Geschäftsmodell.

Dazu kommt die Souveränität der Nutzer über ihre Daten. Wenig bekannt: Wer jetzt nach #DeleteFacebook handelt und sein Profil bei dem Netzwerk löscht, gibt dem Dienst nur nicht weiter neue Informationen. Die bisherigen Daten bleiben gespeichert und werden kommerziell genutzt – auch dieses zweifelhafte Recht behält sich Facebook explizit vor. Auch der Exnutzer bleibt damit über Werbung und andere Dienste des Unternehmens wie Whatsapp und Instagram ansprechbar. Er hat kein Recht auf einen großen, roten Löschknopf, der dann auch wirksam tut, was man von ihm erwartet.

Facebook ist unlöschbar

Selbst wenn man als mündiger Netznutzer die Kontrolle über die eigenen Daten haben wollte – es gibt sie bisher nicht. Google hat man das Recht auf Vergessen aufgezwungen, es ist verwunderlich, warum das nicht für alle Onlinedienste gelten soll. Zudem geht es nicht nur ums Löschen, auch die exakte Kontrolle darüber, wer was sehen soll, muss gegeben sein. Im Falle von Datenlecks oder Missbrauch bleibt so nachvollziehbar, dass der Fehler nicht beim Nutzer lag. Das wiederum führt zu mehr Transparenz.

Wer das durchsetzen soll? Eine Aufsichtsbehörde, national oder unter UN-Dach, wie es sie für andere gesellschaftlich relevante Bereiche wie Verkehr und Medizin ganz selbstverständlich gibt. Nur diesmal mit dem wehrhaften Instrument von empfindlichen Strafzahlungen. Das soll kein Wahrheitsministerium sein, sondern schlicht beobachten, wer was mit welchen Daten tut, Regeln aufstellen und Verstöße ahnden. Das selbst zu tun, liegt natürlich nicht im Interesse von Facebook, denn der Handel und das Verwenden von Daten sind der Kern seines Geschäfts. Und das ist bisher inhaltlich vollkommen unreguliert – ein unhaltbarer Zustand. Und nicht nur für Facebook, sondern alle sozialen Netze.

IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach)